Nefastismaschine
Maxwells Dämon ist die intelligente Instanz in dem Modell eines Perpetuum Mobile von James Clerc Maxwell. Sensibel für kleinste Temperaturunterschiede in einem geschlossenen System, trennt der Dämon kontinuierlich „heiße“ und „kalte“ Moleküle. Durch einfaches Öffnen oder Schließen einer Schleuse sammelt der Dämon die heißen Moleküle. Die räumliche Ausdehnung dieser heißen Moleküle bewegt einen Kolben: es entsteht kontinuierlich Arbeit ohne Zufuhr von Energie. Dämonischerweise steht Maxwell´s Perpetuum Mobile im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und verstößt damit gegen gültige Naturgesetze.
In seinem berühmten Aufsatz über Maxwells Dämon hat Leo Szilard 1929 das Themodynamische Modell auf die Informationstheorie übertragen: Die Bewegung der Moleküle wird zur Metapher für die Bewegung der kleinsten Informationsteilchen, der“Bits“
Vor diesem Hintergrund hat Thomas Pynchon in den 60er Jahren die Nefastismaschine beschrieben. Die Nefastismaschine generiert Bewegung durch kontinuierlichen Austausch von Information über die Grenzen des Systems hinaus. Zu der steuernden Intelligenz innerhalb des Systems kommt nun die korrespondierende Instanz eines sensitiven Beobachters. Wenn es dem Beobachter von außen gelingt, verlustfrei mit dem Dämon zu kommunizieren, setzt der freie Fluß der Information den Kolben in Bewegung: Geistige Energie überträgt sich direkt auf Materie.
Für manche ist die Nefastismaschine ebenso dämonisch wie Maxwell´s Perpetuum Mobile. Wenn sensitive Beobachter die Grenzen eines geschlossenen Systems überwinden und durch erfolgreiche Kommunikation Bewegung erzeugen zu können, beginnen da nicht die herrschenden Regeln ihre Tragfähigkeit zu verlieren? Und ist mit der Tragfähigkeit der Denkgerüste nicht auch die Stabilität von Herrschaft gefährdet?
Für die anderen ist die Nefastismaschine jedoch ein willkommener Indikator für den aktuellen Zustand unseres Systems. Denn da nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik die Entropie unweigerlich zunimmt, ist auf die Dauer selbst das stabilste System dem Zerfall preisgegeben. Solange aber noch Bewegung stattfindet – von Molekülen oder Information – haben wir die Gewissheit lebendig zu sein.
Gerhard Westerath
Besprechung
Die pointilistische Ästhetik der zehnteiligen NEFASTISMASCHINE von MAXWELLS DÄMON schließt ziemlich da an, wo NUNC aufhört. Ulrich Böttcher (Perkussion, Elektronik), Uwe Buhrdorf (Klarinette, Elektronik) und der sporadisch bei RLW auftauchende Ulrich Phillipp (Kontrabass, Elektronik), drei sehr coole und kurzhaarige Typen, wenn man der Fotographie trauen kann, haben ihre improvisierte elektroakustische Musik im Frankfurter Städel aufgenommen und mit einer cleveren Geschichte verknüpft. Maxwells Dämon, so erfährt man, ist die intelligente Instanz im Modell eines Perpetuum Mobile von James Clerc Maxwell, das im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik steht, wie er von Clausius und Helmholtz festgestellt worden war. 1929 hat dann ein gewisser Leo Szilard in einem Aufsatz über Maxwell´s Dämon das thermodynamische Modell auf die Informationstheorie übertragen, wobei er die Molekularbewegungen als Metapher auf die Bewegung kleinster Informationsteilchen, der sogenannten „Bits“, übertrug. In den 60er Jahren schließlich hat Thomas Pynchon die „Nefastismaschine“ beschrieben, mit deren Hilfe sich durch die verlustfreie Zuführung von geistiger Energie an eine steuernde Intelligenz – eben einen modifizierten Maxwellschen Dämon - in einem geschlossenen System Bewegung erzeugen lässt. Für die einen eröffnet dieses Denkmodell die Möglichkeit, der Einbahnstrasse ins Chaos gegenzusteuern und insofern der metaphysik der Entropie, wie sie in etwa der Offenbacher Philosoph Philipp Mainländer entworfen hat, zu entkommen. Für die anderen ist die Entropie selbst der beste Garant dafür, dass jede Herrschaftsstruktur endlich ist. Jede noch stattfindende Bewegung von Molekülen oder Informationen, jede Form von „Arbeit“ ist dann ein ambivalentes Indiz dafür, dass wir das Ende noch vor uns haben. Ich diene, also bin ich (frei nach Descartes). Aber zurück zur Musik. Sensibel für kleinste Temperaturunterschiede in einem geschlossenen System, trennt der Dämon kontinuierlich „heiße“ und „kalte“ Moleküle. MAXWELLS DÄMON konstruiert einen akustischen Rahmen, in dem an Klangpartikeln ein aleatorisches Wechselspiel von Druck, Wärme und Bewegung simuliert wird. Das mikroskopische Wuseln, das dabei – nicht zuletzt durch den phantasievollen Einsatz elektronischer Mittel – hörbar wird, schillert zwischen komplexer Arbeit und entropischer Wirrnis.
Bad Alchemie #29
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